Texte

Wenn der Mensch sich des Raumes bewusst wird, in dem er sich aufhält, wird er sein Verhalten ändern.
Menschen-Grenzen-Menschen
  - Menschen suchen Grenzen
  - Menschen stossen an Grenzen
  - Menschen grenzen sich aus
  - Menschen verschieben Grenzen
  - Menschen grenzen sich ein
  - Menschen durchstossen Grenzen
  - Menschen werden eingegrenzt

  - Grenzen engen Menschen ein
  - Grenzen machen menschen sicher
  - Grenzen weisen Menschen Wege
  - Grenzen formen Menschen
  - Grenzen machen Menschen kreativ
  - Grenzen verformen Menschen
  - Grenzen trennen Menschen
Formen, Interpretationen, Farben – der Prozess, das Entstehen der Bildgestaltung ist der wichtigste Teil.
Bilder sind Bücher. Farben und Formen sind lesbar.
Der Mensch tut gut, die Bildersprache anderer lesen zu lernen.
Spuren
  - Wegweisend
  - Überreste von Vergangenem
  - Lassen erahnen
  - Geben Anhaltspunkte
Ich will meine Grenzen nicht gesetzt bekommen.
Meine Farbe will ich mir selbst aussuchen.
In leisen Tönen wünsche ich mir, nicht überhört zu werden.

 


Vernissage – Rede für Monika Pfister zur Ausstellung „Unterwegs“ im Steinhof Luzern am 21. März 2015 von Peter Baccini

Meine Damen und Herren,

Monika Pfister hat mich gebeten, einige Worte zu ihrer Ausstellung „Unterwegs“ hier im Steinhof zu sagen. Sie alle kennen den Spruch, dass ein Bild mehr sagt als 1000 Worte. Der treffende Spruch überspielt die nüchterne Feststellung, dass Bilder von sich aus nicht sprechen. Der Spruch ist pädagogisch gesetzt und will sagen, dass ein Bild beim Betrachter erst einmal Gefühle auslöst, für die es kaum genügend Worte gibt. Aber Menschen, welche sich zur bildenden Kunst hingezogen fühlen, insbesondere zur Malerei, möchten mit ähnlich Gesinnten darüber reden und auch lesen können. Nun bin ich weder Kunstkritiker noch Kunsthistoriker, sondern nur einer, der gerne Bilder um sich hat, die Künstler in meinem Lebensumfeld in meiner Zeit malen, Männer und Frauen, die ich auch persönlich kenne. Sie schaffen mir auch Heimat, die ich mit den Augen anderer neu sehe.

Ich bin aufgewachsen am nördlichen Stadtrand von Luzern, auf dem Stollberg, mit täglichem Blick auf den westlichsten Teil der Museggmauer. Schon als kleiner Bube hat mich der Name des dritten Turms, von der Reuss her gezählt, fasziniert: “Luegisland“. Der Aufruf, den ich persönlich nahm, wurde noch verstärkt durch das Pausenzeichen von Radio Beromünster (aus dem Studio Zürich) mit dem ersten Takt des Volksliedes „Chom Bueb ond lueg dis Ländli aa!“ Auf einer Schulreise nach Schaffhausen zeigte mir der Lehrer den Spruch am Schwabentor: “Lappi, tue d’Auge-n- uuf!“ Schauen, das alemannische Luege, eng verwandt mit dem englischen Look, so lernte ich schon als Bube mit Hilfe didaktischer Finessen meiner diversen Erzieher, kommt vor dem Sehen. „Muesch zerscht luege Bueb, bis chasch gseeh!“ Für jene, welche lieber trendig mit englischen Vokabeln kommunizieren: „Look and See!“ Monika Pfister schaut viel besser als ich, skizziert das Geschaute auf Papier, was ich nicht kann. Es entstehen in ihrem Kopf Bilder, die sie schliesslich auf die Leinwand malt, die mich als Betrachter wieder zum Schauen einladen. Ihr Bild auf der Einladungskarte zum Beispiel, hier in der Ausstellung am Beginn des Circuits, löste bei mir zuerst spontan eine Spannung aus, zwischen einer dunklen bedrohlichen Welle in der unteren Hälfte, die auf einer eisig-grauen Fläche auf mich zukommt, und einer hellen zärtlichen oberen Hälfte, die mich beruhigt, mir Horizont und Weite gibt. Hätte ich dieses Bild als täglicher Begleiter, ich würde es je nach meiner Gemütslage immer wieder anders empfinden. Gerade diese Eigenschaft macht ein Bild für mich lebendig, weil mein Schauen nicht immer gleich ist und ich in einem starken Bild immer wieder Neues sehen kann.

Monika Pfister gibt ihren Bildern keine Titel. Sie will nicht, dass ein vorgegebener Name das Schauen des Betrachters einengt. „Meine Bilder sind offen“, sagt sie. Sie arbeitet meist mit Zeichnungen von Konkretem, skizziert mit Bleistift oder Kohle. Sie sind die Katalysatoren, die in ihrem Innern erste Bildentwürfe schaffen, mit denen sie, was sie als Frau und Mutter auch biologisch korrekt sagen darf, über Wochen, wenn nicht Monate schwanger geht. Ich bleibe noch kurz bei der gynäkologischen Metapher. Übrigens: Ich bin nicht Frauenarzt, sondern Naturwissenschaftler. Monikas Geburtswehen beginnen vor einer weissen Fläche, auf die sie erste Raster zeichnet, als mögliches Gerüst eines Ölbildes, das als Entwurf immer noch in ihrem Innern steckt. Für sie sind die ersten Striche entscheidend, ob es gelingen kann oder verworfen wird. In den meisten Bildern, wenn wir sorgfältig schauen, erkennen wir Monikas Pendeln zwischen konkretem Untergrund, der beim Übermalen verschwindet, und dem auf ihm gewachsenen Bild, auf dem sich wieder Fenster öffnen, durch die man in den Untergrund schauen kann. So erhalten ihre Bilder Tiefe und Bewegung, so erzählt jedes Bild, wenn man es mit genügender Musse anschaut (aaluegt), eine Geschichte, die der Betrachter selbst fortsetzen kann.

Das ist aus meiner Erfahrung auch die beste Art, für sich Bilder auszuwählen, mit denen man sich umgeben will. Wir sind alle kulturell vorgeprägt durch das bereits als grossartig gepriesene Werk berühmter Maler. Wer hätte schon den Mut offen zu sagen, dass er Leonardo da Vincis Mona Lisa im Louvre langweilig findet? Das Werk, vor rund einem halben Jahrtausend gemalt, gehört zum Kanon des malerischen Welterbes. Es wird uns von Experten erklärt, warum es so bedeutend ist. Eigentlich kann niemand mehr unbefangen das Porträt von Lisa del Giocondo betrachten. Wir neigen dazu, unseren Kindern zu sagen, wie etwas aussehen muss, bevor sie zeigen können, was sie selbst sehen. Anthropologen demonstrieren uns mit den Funden von Höhlenmalereien, geschaffen vor 30-40‘000 Jahren, dass menschliches Denken mit Bildern begonnen hat, nicht mit Schriften (Schauen-Sehen-Malen). Am Anfang der Menschwerdung war das gemalte Bild, nicht das geschriebene Wort. Die Bibel hat zwar Autorität, aber nicht immer Recht.

In Monika Pfisters Bildern spüre ich auch ihre Überzeugung, dass jeder Mensch schöpferische Kräfte hat und sie mit seinen Talenten nutzen sollte. Wenn Monika ein Bild ausstellt, dann stimmt es für sie, dann kann sie es loslassen. Ausstellen heisst aber auch, sich der Kritik stellen. Der Betrachter muss den Mut haben, auch offen zu sagen, dass ihn gewisse Bilder völlig kalt lassen. Der oder die Kritisierte muss diese Reaktion aushalten können. Monika Pfister ist für mich ein Mensch, der von Zeit zu Zeit, aber nicht immer, auf die Bühne will. Jene, die mit ihr zum Beispiel in schulischen Projekten arbeiten, wissen das. Sie sucht Menschen im Dialog und verarbeitet ihre Erfahrungen auch künstlerisch. Aber sie sucht immer wieder die Stille und Weite von menschenleeren Landschaften, den Nebel, die Dämmerung, Kulissen also, vor welchen sich nur noch die für sie kräftigen Dinge zeigen. Das Spiel der natürlichen Lichtwechsel ermöglicht ihr die Reduktion auf Weniges aus der riesigen Fülle von Formen und Farben. Kunst ist auch die Leistung, das Wesentliche zu sehen.

Ausstellen verlangt auch Mut. Monika ist eine Hochseeseglerin, zusammen mit ihrem Mann Robert. Sie setzen sich mit einem lächerlich kleinen Schwimmkörper auf dem Meer aus und navigieren mit ihrem körperlichen und technischen Geschick über die Gewässer, müssen aber schlussendlich immer wieder einmal ans Land. Das Meer ist die Metapher für das Offene. Das Segelboot steht für die Unabhängigkeit von vorgegebenen Routen. Beim Segeln auf dem Meer und beim Malen im Atelier ist Monika unterwegs. Malen ist so etwas wie Segeln im Kopf. Ich finde denn auch immer wieder, offen oder versteckt, die Erleichterung in ihren Bildern, wieder eine Küste erreicht zu haben.

 

Monika, wahrscheinlich hast Du das Pausenzeichen von Radio Beromünster nicht erlebt, weil es schon in Deiner frühen Kindheit entsorgt wurde. Ich bin sicher, wärst Du so alt wie ich, Du hättest auf Deine Art mitgesummt, allerdings mit dem Text: „Chom Meitschi und lueg dis Ländli aa. Ich wott de Mönsche zeige, was ich gseehne. Me cha au ohni Y-Chromosom schöpferisch tätig sii.“

 

In Monika Pfisters Bilder gibt es keine versteckte Botschaft, nur eine Möglichkeit, mit ihr zu schauen. Man muss aber selbst auf den Weg gehen. Das ist nicht lockeres Vergnügen, das ist Arbeit, bis man das Wesentliche sieht. Alles Schöpferische beginnt mit Arbeit und endet, so hoffen wir, mit Freude über das Geschaffene. Die Bilder haben weder eine Provokation (Monika bricht keine Tabus!) noch eine Aufforderung zur politischen Handlung (bekämpft das, trauert über jenes, empört euch wegen jenem) sondern ist eine Einladung zum Schauen. Was ihr sehen könnt, ist das, was ihr selber herausfindet. „Guet luege ond guet gseeh esch au e schöpferischi Leischtig.“

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben, im Namen von Monika Pfister, dass Sie gekommen sind, um ihre Bilder „aa z’luege“. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Zeit zusammen unterwegs.